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Gesamtausschuss der Mitarbeitervertretungen

der Ev.-Luth. Landeskirche Hannovers


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Reden ist Silber, Schweigen ist Gold - auch für die Mitarbeitervertretung?

MitarbeitervertreterInnen erfahren oft Dinge, die z.B. die persönlichen Verhältnisse von KollegInnen betreffen, so die Sozialdaten bei Kündigungen. Gelegentlich offenbaren sich MitarbeiterInnen der MAV auch mit sehr persönlichen Sorgen und Nöten. Sie tun dies in der Gewißheit, daß die Mitglieder der Mitarbeitervertretung verschwiegen sind. Diese den Mitarbeitervertretern unterstellte Verschwiegenheit ist nicht nur eine Selbstverständlichkeit sondern sie ist auch gesetzlich geregelt, nämlich in § 23 des MVG-K bzw. § 22 MVG-EKD. Danach sind die Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet, soweit die Sache ihrer Natur nach nicht geheimhaltungsbedürftig ist. Und damit ist für die Praxis reichlich unklar geworden, was eben noch so selbstverständlich erschien. Vor allem aber machen Mitarbeitervertretungen die Erfahrung, daß ihnen häufig von ihren Dienststellenleitungen vorgeworfen wird, daß sie die Schweigepflicht mißachtet haben. Wir kommen deshalb nicht umhin, die Grenzen der Schweigepflicht zu diskutieren, vor allem, weil eine nur schweigsame Mitarbeitervertretung wenig bewegen kann.

Wenn wir Reichweite und Grenzen der Schweigepflicht erfassen wollen, müssen wir zunächst klären, welche und wessen Interessen durch die Schweigepflicht geschützt werden sollen. Drei Gruppen sind hier zu benennen:

Zu schützen sind Daten und Informationen über persönliche Verhältnisse von MitarbeiterInnen, zu schützen sind Informationen, die die Dienststelle, Vorhaben der Dienststellenleitung usw. betreffen und schließlich sind auch die Mitglieder der Mitarbeitervertretung zu schützen. Denn sie müssen sicher sein, daß sowohl ihr Abstimmungsverhalten in der Mitarbeitervertretung als auch die von ihnen vertretenen inhaltlichen Positionen nicht gegen ihren Willen nach außen getragen werden, z.B. an die Dienststellenleitung. Nur so können sie ihr Amt ohne sach- und rechtswidrige Beeinflussung ausüben. Die Schweigepflicht zugunsten der Mitglieder der Mitarbeitervertretung ist damit zugleich auch ein Instrument zur Sicherung der Unabhängigkeit und Handlungsfähigkeit der MAV insgesamt.

Informationen von und über MitarbeiterInnen unterliegen natürlich der Schweigepflicht - aber nur im Grundsatz. Denn es kommt nicht selten vor, daß die MAV solche Informationen gerade mit dem Ziel erhält, diese an andere weiter zu geben, z.B. wenn ein zu kündigender Mitarbeiter auf weitere soziale Aspekte hinweist, die im Rahmen der Sozialauswahl zu berücksichtigen sind. Oft ergibt sich aus der Information und den Umständen, unter denen die MAV diese Informationen erlangt, daß der Betroffene mit einer - beschränkten - Weitergabe einverstanden ist. Aber hier ist Vorsicht geboten. Denn ein Mitarbeiter weiß oft gar nicht, in welcher Handlungssituation sich die MAV befindet (mündliche Erörterung, Verpflichtung, die Zustimmungsverweigerung schriftlich zu begründen usw.). Gerade wenn zwischen MitarbeiterIn und MAV ein vertrauensvolles Verhältnis besteht, werden oft Dinge gesagt, die nicht weiter gegeben werden sollen. Es ist deshalb dringend anzuraten, zum Ende eines jeden Gespräches zu klären, welche Informationen an wen weiter gegeben werden dürfen. Dies schafft im übrigen auch Vertrauen und schützt die Mitglieder der Mitarbeitervertretung vor späteren Vorwürfen.

Die Mitarbeitervertretung wird in Gesprächen mit MitarbeiterInnen gelegentlich auch Dinge erfahren, von denen die Dienststellenleitung Kenntnis haben möchte (oder muß?). So hat einmal eine Altenpflegerin sich gegenüber der MAV gegen den Vorwurf, sie habe Bewohner in ihrem Zimmer eingesperrt, damit verteidigt, daß das im Hause doch üblich sei. Sie hat dann Namen von MitarbeiterInnen genannt, die angeblich einen Stuhl unter die Türklinke von Bewohnerzimmern geklemmt haben. Da sie sich später mit diesem Vortrag auch vor dem Arbeitsgericht gegen ihre fristlose Kündigung gewehrt hat, hat die Dienststellenleitung erfahren, daß die MAV von diesen strafbaren Handlungen gewußt aber nichts gesagt hat. Und nun erhielt der betroffene Mitarbeitervertreter eine fristlose Kündigung, weil er seine Offenbarungspflicht verletzt habe! Das Landesarbeitsgericht hat seiner Kündigungsschutzklage Recht gegeben und dazu ausgeführt, daß die gesetzliche Schweigepflicht gerade das Ziel habe, daß sich Mitarbeiter gegenüber der MAV in Angelegenheiten offenbaren können, die die Dienststellenleitung gerade nicht erfahren soll. Die MAV ist nicht die betriebliche Staatsanwaltschaft. Eine Offenbarungspflicht gibt es deshalb nicht.

Die meisten Probleme gibt es aber mit Informationen, die die MAV von der Dienststellenleitung erhält. Die Dienststellenleitung ist verpflichtet, die MAV zur Durchführung ihrer Aufgaben rechtzeitig und umfassend zu unterrichten und auch schon an Planungen zu beteiligen. Sie wird also - wenn sie sich rechtmäßig verhält - die MAV auch über die beabsichtigte Schließung von Betriebsteilen, von der Übertragung von Aufgaben auf Fremdfirmen usw. unterrichten. Darf die MAV jetzt die betroffenen Mitarbeiter unterrichten? Darf die MAV Mitarbeiter darüber unterrichten, daß die Dienststellenleitung ihnen kündigen will?

Die Schweigepflicht der Mitarbeitervertretung muß im Zusammenhang mit den gesetzlichen Aufgaben der MAV stehen, die immerhin die beruflichen, wirtschaftlichen und sozialen Belange der MitarbeiterInnen fördern soll. Der Aufgabenbereich der Mitarbeitervertretung ist damit viel weiter beschrieben als es sich aus den Mitbestimmungs- und Mitberatungsrechten ergibt. Wie aber kann und soll die MAV die Belange der Mitarbeiter in Angelegenheiten fördern, die nicht der Mitbestimmung und Mitberatung unterliegen? Hier bleibt der MAV in der Regel nur die Macht ihrer Argumente. Das aber bedeutet, daß die MAV sich in die innerbetriebliche Diskussion einmischen muß. Und manchmal muß sie die innerbetriebliche Diskussion auch erst auslösen. Hier wird deutlich, daß die Aufgabenstellung der Mitarbeitervertretung in einem Spannungsverhältnis zu der ihr obliegenden Verschwiegenheitsverpflichtung steht. Dies hat der Gesetzgeber auch gesehen und die Schweigepflicht auf die schutzbedürftigen Sachverhalte beschränkt. Nun konnte der Gesetzgeber nicht voraussehen, was und wann in welchem Umfang geheimhaltungsbedürftig ist. Das hängt schließlich immer von den Umständen des Einzelfalls ab. Keinesfalls aber kann die Schweigepflicht der MAV soweit ausgedehnt werden, daß diese in der Wahrnehmung ihrer Aufgaben eingeschränkt wird. Nur das, was wirklich geheimhaltungsbedürftig, unterliegt der Schweigepflicht. Und das ist keineswegs immer der Fall, wenn die Dienststellenleitung einen Sachverhalt für geheimhaltungsbedürftig ansieht oder erklärt. Tut sie dies, so ist es sicherlich ein Indiz. Aber die MAV darf und muß eigenständig prüfen, ob die Sache objektiv geheimhaltungsbedürftig ist. Hier hilft in der Praxis eine ganz einfache Frage: Was passiert, wenn der Sachverhalt bekannt wird?

So können wirtschaftliche Daten für einen Wettbewerber durchaus von großem Nutzen sein. Wenn die MAV dies so sieht, hat sie immer noch die Möglichkeit, über die wirtschaftliche Lage zu berichten, in dem sie die Daten etwas vergröbert oder sich auf bewertende Zusammenfassungen beschränkt.

Meist wird die Geheimhaltung von der Dienststellenleitung aber damit begründet, daß sonst der Betriebsfrieden gestört wird. Dies kann der Fall sein, wenn Kündigungen anstehen. Hier gilt aber in jedem Fall: sobald das förmliche Mitbestimmungsverfahren bei Kündigungen eingeleitet ist, darf (und muß) die MAV mit dem Betroffenen sprechen, mit Dritten natürlich nicht. Ein zu kündigender Mitarbeiter wird deshalb in der Regel von der Kündigungsabsicht des Arbeitgebers von der Mitarbeitervertretung erfahren. Er und die MAV haben damit einen Informationsvorsprung, der u.U. sogar dazu führen kann, daß die Kündigung verhindert wird. Man stelle sich nur vor, ein alkoholkranker Mitarbeiter, der lange Zeit jede Therapie verweigert, erfährt, daß er in wenigen Tagen seine Kündigung erhalten soll. Dies kann seine Therapiebereitschaft ungemein fördern mit der Folge, daß jetzt plötzlich keine die Kündigung rechtfertigende negative Prognose mehr gegeben ist.

Was passiert, wenn ein Mitarbeitervertreter die Schweigepflicht mißachtet?

In dem Kommentar zum MVG haben Fey/Rehren ursprünglich die Meinung vertreten, daß sich ein Mitarbeitervertreter damit strafbar mache. Sie haben diese Auffassung daraus abgeleitet, daß gem. § 203 StGB Personen, die Aufgaben nach dem Personalvertretungsrecht wahrnehmen, dieser strafgesetzlichen Schweigepflicht unterliegen. Inzwischen besteht aber Einigkeit darüber, daß Mitarbeitervertreter gerade nicht dem (staatlichen) Personalvertretungsrecht unterliegen und eine Verletzung der (lediglich) kirchenrechtlich begründeten Schweigepflicht straffrei bleibt.

Als Sanktion droht einem Mitglied der MAV deshalb im schlimmsten Fall die Abberufung aus dem Amt (mit Folge, daß der nachwirkende Kündigungsschutz entfällt). Die Abberufung kommt aber nur in Betracht wegen einer " groben Verletzung von Pflichten ". Das heißt, daß nicht schon jede Verletzung der Schweigepflicht eine Abberufung rechtfertigt. Ein Mitarbeitervertreter kann nur dann von seinem Amt abberufen werden, wenn er beispielsweise beharrlich immer wieder schutzwürdige Informationen ausplaudert oder wenn er sich leichtfertig über die sich geradezu aufdrängende Schutzwürdigkeit hinweg setzt. Verkennt er trotz erkennbarer Bemühungen lediglich die Grenzen der Schweigepflicht, so wird in der Regel eine Abberufung nicht in Betracht kommen.

Eine Abmahnung oder Kündigung des MAVlers, der ja auch Arbeitnehmer ist, kommt allein dann in Betracht, wenn er Informationen preisgibt, die er nicht in seiner Eigenschaft als Mitglied der MAV sondern als Arbeitnehmer erhalten hat. Abmahnung und Kündigung sind keine Sanktionen für Pflichtverletzungen im Amt als Mitarbeitervertreter.

Für die Praxis kann man neben diesen rechtlichen Erwägungen folgende viel einfachere Empfehlung geben: Betrachtet die Frage mit dem berühmten gesunden Menschenverstand und überlegt euch, wie ihr reagieren würdet, wenn es im konkreten Fall um eure Informationen gehen würde. Mit dieser Hilfsüberlegung kommt man in der Praxis sehr weit.

Bernhard Baumann-Czichon

Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bremen

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